MTZ-BioQuant Award for Systems Biology 2010

Die MTZ®stiftung hat am 09.12.2010 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg den MTZ®-BioQuant Award for Systems Biology 2010 an Frau Dr. rer.nat. Verena Becker als Anerkennung für ihre herausragende Heidelberger wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der medizinisch orientierten Systembiologie vergeben.

Das Preisgeld i.H.v. 2.500 € soll es der Preisträgerin u. a. ermöglichen, ihre Forschungsarbeiten durch Aufbau- und Ergänzungsstudien sowie Praktika im Ausland zu fördern.

 

im Bild von links: Dr. Verena Becker umrahmt von den Mitgliedern des Kuratoriums Frau PD Dr. Ursula Klingmüller und dem Gründungsdirektor von BioQuant Herr Prof.Dr. Jürgen Wolfrum
(Alle Fotos: MTZstiftung)

Kurzfassung des prämierten Forschungsansatzes:

Informationsverarbeitung durch den Erythropoetin-Rezeptor

Im blutbildenden System des Knochenmarks entstehen aus hämatopoetischen Stammzellen in mehreren Entwicklungsschritten die roten Blutkörperchen. Diese sogenannten Erythrozyten dienen dem Sauerstofftransport und werden aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer kontinuierlich nachproduziert. Die Neubildung dieser Zellen wird durch das Hormon Erythropoetin (Epo) reguliert, das in der Niere synthetisiert wird und im Knochenmark die Proliferation und Differenzierung erythroider Vorläuferzellen anregt. Kommt es zu einem Abfall des Sauerstoffpartialdrucks in der Niere, beispielsweise aufgrund einer Verletzung oder eines Aufenthalts in großer Höhe, wird Epo vermehrt hergestellt und ausgeschüttet. Dadurch wird letztendlich die Neubildung roter Blutkörperchen erhöht und so die Wiederherstellung einer ausreichenden Sauerstoffversorgung des Körpers gewährleistet. Daraufhin wird die Epo-Produktion zurück auf basale Werte gesenkt. Somit stellt das System einen in sich geschlossenen Regelkreis dar, der für eine der Situation angemessene Anzahl von Erythrozyten sowohl unter Normalbedingungen als auch in extremen Situationen sorgt. Interessanterweise können dabei die Plasmakonzentrationen von Epo um das bis zu tausendfache variieren.
Auf der Oberfläche erythroider Vorläuferzellen bindet Epo als Ligand an den so genannten Erythropoetin-Rezeptor (EpoR) und übermittelt das von der Niere ausgesendete Signal zur Bildung neuer roter Blutkörperchen. Wie jedoch können die Zellen, die nur wenige dieser Rezeptor-Moleküle auf ihrer Zellmembran tragen, die so extrem unterschiedlichen Epo-Konzentrationen angemessen interpretieren? Und warum wird nur ein geringer Prozentsatz des EpoR zur Zelloberfläche transportiert, während der überwiegende Teil der Rezeptoren in intrazellulären Kompartimenten verbleibt? Normalerweise würde man erwarten, dass bei einer hohen Anzahl von Epo-Molekülen und einer geringen Rezeptormenge schnell der Sättigungspunkt erreicht ist, ab dem die blutbildende Zelle nicht mehr auf eine darüber hinaus gehende Steigerung der Epo-Konzentration reagieren kann.
Um diese Fragen zu beantworten, wurden unterschiedliche Hypothesen aufgestellt und mithilfe eines systembiologischen Ansatzes untersucht, der experimentelle quantitative Daten und auf gekoppelte Differentialgleichungen basierende mathematische Modelle kombiniert. Mithilfe dieses durch die Helmholtz-Allianz für Systembiologie und das BMBF geförderten Forschungsansatzes konnte gezeigt werden, dass der EpoR einem hohen und vom Liganden unabhängigen Durchsatz an der Plasmamembran unterliegt. Zudem kommt es nach Bindung von Epo an seinen Rezeptor zu einer schnellen Aufnahme des so gebildeten Komplexes in das Zellinnere, wo ein Großteil der Liganden- und Rezeptormoleküle abgebaut wird. Dadurch sinkt die Epo-Konzentration in dem die Zellen umgebenden Medium, während gleichzeitig aufgrund der hohen Durchsatzrate des EpoR neue Rezeptormoleküle aus intrazellulären Kompartimenten an die Zelloberfläche transportiert werden. Daher bleibt die Zelle in einem reaktionsbereiten Zustand und kann stets auf eine neuerliche Stimulation mit Epo reagieren. Die fortlaufende Bereitstellung neuer Rezeptoren an der Plasmamembran der Zelle wurde durch Modellsimulationen und anschließende Experimente als die zentrale Strategie identifiziert, mit Hilfe derer die Zelle sowohl geringe als auch hohe Epo-Konzentrationen linear interpretieren und der Körper somit mit einem angemessenen Nachschub an Erythrozyten reagieren kann.
Gentechnisch hergestelltes, rekombinantes Epo ist ein wichtiges Medikament gegen Blutarmut und wird nicht nur zur Behandlung von Anämien bei Dialysepatienten, sondern auch bei Krebspatienten während oder nach einer Chemotherapie eingesetzt. Eine Behandlung dieser krebsassoziierten Anämie könnte nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Prognose des Patienten verbessern. Neuere klinische Studien wurden jedoch vorzeitig abgebrochen, da bei einigen Patienten gegenteiligen Effekte beobachtet wurden und das Tumorwachstum nach Epo-Behandlung beschleunigt war. In weiterführenden Projekten im Rahmen des BMBF-geförderten LungSys-Konsortiums werden grundlegende Prinzipien der Signalleitung durch den EpoR in blutbildenden Zellen mit denen in Lungenkrebszellen verglichen. So können zukünftig sowohl prognostische Marker als auch Behandlungsstrategien identifiziert werden, die das gezielte Design eines spezifisch auf blutbildende Zellen wirkenden Epo-Derivats und damit eine effizientere Therapie von Lungenkrebs ermöglichen.

Publikation:
Verena Becker, Marcel Schilling, Julie Bachmann, Ute Baumann, Andreas Raue, Thomas Maiwald, Jens Timmer, Ursula Klingmüller (2010). Covering a Broad Dynamic Range: Information Processing at the Erythropoietin Receptor. Science 328(5984):1404-1408.